Ort: Spreitenbach, AG · Datum: 8.10.1996 · Fall: Tötungsdelikt

TG/AG: Der «Tramper-Mord» an Scheuerle Heidi Scheurer (26†) vom 8. Oktober 1996 ist bis heute ungeklärt. Die Zeit drängt! Die Tat verjährt am 8. Oktober 2026 definitiv. Die letzte gesicherte Sichtung war am Rastplatz Forrenberg Nord bei Winterthur (ZH), um 13:00 Uhr, beim Trampen Richtung Basel. Erst am 28. Oktober 2000 findet ein Pilzsammler im Wald von Spreitenbach menschliche Überreste, die nach aufwändiger Analyse Heidi Scheuere (26†) gesichert zugeordnet werden konnten. Vom Täter fehlt bisher jegliche Spur.

Das Opfer

Heidi Scheuerle (26†) lebte in einer Studenten-WG im schweizerischen Kreuzlingen studierte aber auf der deutschen Seite.

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Sie war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) als Praktikantin tätig. Sie war eine glühende Verfechterin des Trampens und schrieb sogar einen Bericht dazu in der taz vom 23. August 1996 mit dem Titel «Das Böse ist immer und überall». Dabei liess sie kein gutes Haar an der Sendung «Aktenzeichen XY ungelöst», welche sie beschuldigte, das Trampen zu verteufeln. Schon fast erschaudern lässt einem ihr Sinnieren in Form eines Gespräches mit einer Freundin über die Gefahren des Trampens und kommt zum Schluss, dass ihre Leiche wohl dereinst von einem Pilzsammler gefunden würde.

Der Tag ihres Verschwindens

Sie durfte für die Realisation eines kurzen Berichts von 30 Sekunden in das Museum für Gestaltung nach Weil am Rhein bei Basel fahren, weil dort die neue Tastsinn-Ausstellung lief. SRF hätte ihr die Reise natürlich ohne weiteres bezahlt. Sie entschied sich aber dagegen. Als glühende Anhängerin des Trampens, bastelte sich Heidi Scheuerle (26†) für den Trip ein Schild aus Pappkarton, auf dem «Zürich – Basel» geschrieben stand und stellte sich in Kreuzlingen an den Strassenrand. Eine Swissair-Mitarbeiterin nahm Heidi Scheuerle (26†) in Kreuzlingen mit dem Auto bis zum Rastplatz Forrenberg ZH Nord bei Winterthur mit. Mittlerweile 12:45 Uhr, machte zu dieser Zeit ein Lastwagenchauffeur Mittagspause. Von der Führungskabine aus sah er, wie Heidi Scheuerle (26†) eine Mitfahrgelegenheit in Richtung Zürich - Basel suchte. Sie war ihm sofort aufgefallen: Bei Autos hielt sie ihren Karton und Daumen in die Luft, bei Lastwagen drehte sie sich ab. Ungefähr um 12:55 Uhr bemerkte er, dass sich die Frau abgesetzt hatte. Unter welchen Umständen und zu welchem Zeitpunkt dies geschah, war nicht rekonstruierbar, weil der LKW-Fahrer zwischenzeitlich eine Zeitung las. Von diesem Zeitpunkt an gibt es keine weiteren Anhaltspunkte wo sich Heidi Scheuerle (26†) aufgehalten haben könnte. Auffallend ist, dass die Polizei die letzte Sichtung mit kurz nach 12:40 Uhr angibt. Dies widerspricht den Mediendarstellungen. Die Fahrstrecke von der Raststätte Förrenberg Nord nach Spreitenbach dauert in etwa 38 Minuten. Was in dieser Zeit geschah, kann mangels Hinweise nicht rekonstruiert werden. Der Täter muss aber in dieser Zeit so viel Vertrauen aufgebaut haben, dass Heidi Scheuerle (26†) ihm dahingehend vertraute, dass er sie an eine Stelle bringen konnte, wo es dann zur Tötung gekommen ist. Vielleicht hatte er einen Vorwand einen Umweg fahren zu müssen, als sich Heidi Scheuerle (26†) bewusstwurde, dass etwas nicht stimmt, war es bereits zu spät. Hat er sie ab einem bestimmten Zeitpunkt noch mit einer Waffe bedroht? Wie Heidi Scheuerle (26†) zu Tode kam, konnte anhand der wenigen forensischen Spuren nicht ermittelt werden.

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Was weiter geschah

Zwei Tage später ging bei der Polizei die Vermisstenanzeige ein. Einen weiteren Tag später meldet sie auch ein Freund, bei dem sie an langen Arbeitstagen im Fernsehstudio unterkam, Heidi Scheuerle (26†) als vermisst. Die Thurgauer Polizei ermittelte sofort in alle Richtungen. Insgesamt wurden 319 Personen identifiziert, die gegebenenfalls als Täter in Frage kommen könnten. Natürlich konzentrierte sich die Suche nach Personen, welche sich in der besagten Zeit auf dem Rastplatz waren. Nach vier Jahren, im Januar 2000, wurde der Fall in «Aktenzeichen XY ungelöst» vorgestellt. Ein Ermittler der Kantonspolizei Thurgau zeigte sich in der Sendung überzeugt davon, dass Heidi Scheuerle (26†) einem Verbrechen zum Opfer fiel. Mutter und Schwester waren übereinstimmen überzeugt, dass ein Suizid nicht infrage gekommen sei.

Fund der Leiche

Am 28. Oktober 2000 entdeckte ein einheimischer Pilzsammler oberhalb von Spreitenbach im Wald ca. 15 – 20 Meter von einem Waldweg und zwischen Bollehof und Egelsee, nur wenige Meter zur Zürcher Kantonsgrenze entfernt, in einem Fichten- und Lärchenhau einen menschlichen Schädel. Die Polizei sicherte die Spuren. Das Skelett war längst nicht mehr komplett. Sehr viel muss von Tieren verschleppt worden sein.

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Erste forensische Erkenntnisse

Die ersten Funde vor Ort waren neben dem Schädel und eines Fingernagels ein schwarzer Halbschuh Marke Nike (1), Gewebeteil oder Lederteil (2), Rest von einer grauen Hose mit Reissverschluss (3). Das Foto stammt von der Kantonspolizei Aargau.

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Fatal war, dass sich das Institut für Rechtsmedizin in einer ersten Untersuchung bei der Bestimmung der Liegezeit der Knochenreste stark irrte. 8 bis 10 Wochen Liegezeit wurden angenommen. Folge war, dass der Fall Heidi Scheuerle (26†) gar nicht ins Raster der Fälle gelangte, die mit dem Fund abgeglichen wurden. Ganze zwei Jahre lang.

Weitere Suchaktionen am Fundort der Leiche

Dreissig Polizeischüler waren an den beiden Suchaktionen beteiligt. Erst diese Suchaktionen brachten die Ermittler schliesslich weiter: Ein Schlüsselbund wurde gefunden. Die Abklärungen bei der Schlüsselfirma KABA ergaben, dass einer zu einem Spint von Heidi Scheuerle (26†) passte. Ob dabei auch Suchhunde eingesetzt wurden, konnte ich bisher noch nicht feststellen. Wichtig wäre aber sicher, dass Fuchs- und Dachsbauten auf einer Karte des abgesuchten Geländes eingetragen worden sind, um allenfalls später die Bauten mit Spezialkameras auf weitere Knochen abzusuchen. Diese Bauten sind sehr lang und verzweigt, daher hätte wohl ein Suchhund nicht angeschlagen, falls in einem Bau solche menschlichen Überreste liegen würden.

Ausweitung der Ermittlungen

Im Frühjahr 2002 konnte dann bestätigt werden, dass es sich bei der Toten um Heidi Scheuerle (26†) handelte. Die Bestimmung wurde möglich, weil ein DNA-Abgleich mit der DNA der Mutter, welcher 1996 noch gar nicht möglich war, eine eindeutige Übereinstimmung der wesentlichen DNA-Komponenten ergab. Auch ein am Tatort gefundener Fingernagel wurde auf das DNA-Profil hin untersucht, stammte aber von Heidi Scheuerle (26†) und nicht vom Täter.

Das Täterprofil

Die Polizei geht nicht davon aus, dass sich der Täter in der Umgebung ausgekannt haben muss. Den Ermittlern erschein eine kleine Kiesgrube in der Nähe des Tatortes als geeigneteren Ablageort für eine Leiche. Allerdings ist nicht bekannt, wie frequentiert diese Kiesgrube bezüglich Abbaus von Kies war oder gelegentlich von einer Jagdgesellschaft als Übungsplatz dienste. Mutmasslich wollte der Täter die Leiche nur ablegen und nicht zudecken. Es musste schnell gehen, um nicht möglicherweise aufzufallen. Dass er ein Einzeltäter war, da sind sich die Ermittler einig. Ein weitergehendes Täterprofil wurde nicht erstellt. Zu gross wären wohl das Potential von Spekulationen über die Persönlichkeitsstruktur des Täters. Da will man nicht auf etwas hinlenken, was nicht zutreffen könnte. llerdingst weist das Täterprofil aus dem Fall Ana Paula Arruda (31†): Möglich ist, dass der Täter vor der Tat ein geregeltes und unauffälliges Leben geführt haben dürfte und ein solches noch immer führt. Ebenso ist möglich, dass er damals in einer Beziehung gelebt hat. Seine Intelligenz dürfte zumindest durchschnittlicher Natur gewesen sein, sich aber durch einen Mangel an Empathie auszeichnen. Dazu ist möglich, dass er auch psychopatische Persönlichkeitszüge besitzt. Er scheint ein manipulatives Verhalten an den Tag zu legen. Typisch dürften der Besitz und der Konsum von gewaltverherrlichender Pornographie sein.

Reine Spekulation: Der Täter im Fall von Ana Paula Arruda (31†) soll zum Tatzeitpunkt 25 – 35 Jahre alt gewesen sein. Geht man eher von einem Alter von 35 aus, wäre er zum Tatzeitpunkt im Fall Heidi Scheuerle (26†) um die 25 Jahre alt gewesen sein. Dazu kommt, dass er sich auf der Strecke Zürich – Basel befand. Das würde passen. Ebenso fehlen Gegenstände der Opfer. Unterschiedlich ist sicher, dass sich der Täter im Fall Heidi Scheuerle (26†) nicht ein Opfer aus dem Milieu der Prostitution gesucht hat. Aber die Gelegenheit war da. Zwischen den Morden liegen praktisch genau 10 Jahre. Ein Tötungsdelikt im Oktober, eines im November.

Verjährung

Wie bereits angesprochen, verjährt dieser Fall am 8. Oktober 2026. Es handelte sich genau betrachtet zuerst um einen reinen Vermisstenfall, ohne Kenntnis darüber, wo sich Heidi Scheuerle (26†) aufhält. Wurde sie entführt, gefangen gehalten und erst viel später ermordet? Wir wissen es nicht. Das schweizerische Strafgesetz (StGB) ist hier aber vordergründig eindeutig: Verjährung beginnt mit dem Tatzeitpunkt (Handlung) und nicht mit der Entdeckung oder dem Ergebnis. Diese Auslegung hat auch die Bundesgerichtliche Rechtsprechung bestätigt (BGE 134 IV 297).

Dennoch bleibt in derartigen Fällen ein dogmatisches Spannungsfeld: Wenn Tatzeitpunkt und Todeszeitpunkt, bzw. Entdeckung weit auseinander liegen, besteht eine gewisse Unsicherheit darüber, wie man genau den „Tatzeitpunkt“ bestimmt (z. B. letzter bekannter lebender Zeitpunkt vs. theoretische spätere Tötung). Praktisch wird häufig der letzte gesicherte Zeitpunkt (z. B. letzter Sichtkontakt) als Ansatz genommen, gerade um eine klare, berechenbare Lösung zu haben. Somit ist es klar.

Der allgemein publizierte Verjährungszeitpunkt ist richtig.

Sollte es nach der Ständeinitiative ein künftig so sein, dass Mord nicht verjährt, wäre immer noch zu klären, was mit den bis zum Inkrafttreten der Neuerung verjährten Fällen geschehen soll.

Sollten also nicht noch entscheidende Hinweise aus der Bevölkerung kommen, sieht es für die Aufklärung des Falles bis zum Verjährungszeitpunkt sehr schlecht aus.

Fragen der Ermittler an die Öffentlichkeit

  • Wer kann sich allenfalls an verdächtige Wahrnehmungen am Dienstag, 08. Oktober 1996 auf der Autobahn A1 zwischen Winterthur und Baden oder im Raum Spreitenbach erinnern?
  • Wem sind Personen nach dem 08. Oktober 1996 durch verdächtiges Verhalten oder verdächtigen Äusserungen, die im Zusammenhang mit dem Verschwinden oder der Tötung von Heidi Scheuerle (26†) stehen könnten, aufgefallen?
  • Wer kann Angaben zu Gegenständen aus dem Besitz von Heidi Scheuerle (26†) machen, wie dem schmalen silbernen Ring mit ineinander verschlungenen Händen, der Stofftasche oder dem kleinen dunkelfarbigen Rucksack?
  • Wer kann andere sachdienliche Angaben zum Verschwinden oder zur Tötung von Heidi Scheuerle (26†) machen?

Für Hinweise, die zu Aufklärung der Tat und zur Ergreifung der Täterschaft führen, und die vertraulich behandelt werden, ist eine Belohnung von maximal Fr. 50'000.-- ausgesetzt.

Hinweise bitte an:

Kantonspolizei Aargau unter der Rufnummer +41 62 835 81 81

oder an jede andere Polizeidienststelle.